Jägerschnitzel Ost – ohne Schrott

Take this Ostdeutschland! Mehr als dreißig Jahre nach der Wende und mit Regalen die sich vor Waren nur so biegen, bekommt man immer noch den Eindruck, als wenn man dort das ganze Jahr keine zwanzig verschiedenen Gerichte serviert. Bocksbeinig verteidigt man Sauerkraut bei vierzig Grad Außentemperatur als einzig mögliche Beilage, wenn es sonntags nicht gerade Rotkohl gibt. Wenn irgendwas schön angerichtet ist, wird man von der Arbeiter- und Bauernseele verdächtigt ein “5 Sterne Koch” zu sein, genau so, als wenn man moniert, dass sich ein präsentierter Teller nur unwesentlich von einem Schweineeimer unterscheidet. Das ist eben so, wenn man nicht weiß, dass es beim Kochen nur drei Sterne gibt und man immer nur an fünf Sterne Hotels vorbei fährt. Das Märchen vom fertigen Kloßteig, der besser ist als wenn man ihn selbst macht, wirft ein dunkles Licht auf die eigene Kunst, die vorhersehbare Diskussion bei jeder Bratwurst, ob Bautzener- oder Bornsenf der wahre Jakob sind, nervt schon als selbsterfüllende Prophezeihung, beim Anblick der Bratwurst, ohne die Kommentare gelesen zu haben. Als Allerschlimmstes, wenn man diese Schlachtabfallgerichte wie Tote Oma und Schlachtesuppe abzieht, empfinde ich dieses dauernde Wurstfressen in allen Varianten. In Soljanka, gefühlt im Würzfleisch, in Nudelsoßen, im Wurstgulasch und sehr extrem im original Ost Jägerschnitzel. Es will dann an den Stellen niemand offen darüber sprechen, deswegen erledige ich das hier mal in allen Facetten, dieses Signature Dish zwischen Priwall und Tripitis zu analysieren.

Zutaten:

1 Kilo Jagdwurst Ostprodukt
1 Teller Mehl
6 Eier
Unmengen Paniermehl
600 Milliliter Rapsöl

Soße:

1,5 Kilo Tomaten
1 Teelöffel Salz
1/2 Teelöffel Chiliflocken
2 Knoblauchzehen
30 Gramm Butter
50 Milliliter Rapsöl
1 Esslöffel Zucker
50 Milliliter Essig
1 Esslöffel Kartoffelstärke in Wasser aufgelöst.
200 Milliliter Wasser

(Sättigungs-)Beilage:


500 Gramm Nudeln

Mir geht das richtig gegen den Strich, wenn man ein bestimmtes Industrieprodukt so lobt, als wenn das etwas Gutes für einen tun würde. Werder Ketchup ist für Ostdeutsche, die in Internetgruppen in Erscheinung treten so ein kostbares Gut. Wenn man kein Ketchup selbst kocht, ist das sicherlich besser, als eines von Heinz, aber auch nichts, für das ich aus Respekt aufstehen würde, wenn ich darüber spreche. Zu viel Zucker, zu wenig Tomaten, Universalgeschmack, der zu allem irgendwie, aber zu nichts richtig passt. Dafür muss ich keinen Orgasmus bekommen und auch nicht so tun, als wenn es nichts Besseres gäbe, schon gar nicht eine ganze Flasche davon als Soßenbasis für eine Tomatensoße zu missbrauchen und sie mit Mehlpampe und Tütenbrühe zu verschönern. Im Westen würde man sagen “Get the fuck outta here”.

Weil die Soße immer auf das eigentliche Gericht warten muss, fangen wir mit der Soße an und nicht mit den Jägerschnitzeln. Das geht auch schon einen Tag vorher. 1,5 Kilo Tomaten in einen Topf geben und den erhitzen.

Zwei Knoblauchzehen pressen

Einen Teelöffel Salz

Einen halben Teelöffel Chiliflocken

30 Gramm Butter

50 Milliliter Rapsöl

Einen Esslöffel Zucker

50 Milliliter Essig, tendenziell eher Branntweinessig, als Weinessig.

Bei mittlerer Hitze aufkochen, bis die Tomaten aufplatzen, dann mit Deckel mindestens eine halbe Stunde auf kleinster Flamme bei kleinster Temperatur schmoren.

Das ist Jagdwurst, die sollte man für so ein Gericht auch aus dem Osten nehmen. Beliebt ist sie als Rostocker, oder wie hier als Thüringer Jagdwurst. Bestimmt gibt es auch eine aus Sachsen-Anhalt und Brandenburg, den tristesten Horten, der unambitionierten DDR Küche, auch dreißig Jahre nach Wiedervereinigung. Es ist echt krass, wenn man dieses Gericht zeigt, dass jeden Tag im Westen ein Dummer aufsteht, der das noch nie gehört hat und wenn sich jemand aus dem Osten in einer Westkochgruppe verirrt, gibt es IMMER die gleiche Diskussion. Ein Westdepp der einwirft, Jägerschnitzel ist ein Schnitzel mit Pilzen, wird meistens von einem Ostdeppen dahingehend korrigiert, dass es sich natürlich um eine panierte Jagdwurstscheibe handelt, die für die Namensgebung verantwortlich ist. Die Wahrheit ist, im Westen ist es ein Schnitzel mit Pilzsoße und im Osten eben eine Jagdwurstscheibe mit Tomatensoße. Die Verwirrung ist komplett, wenn sich jetzt noch ein Österreicher einfindet, der täglich nur in Kochgruppen geht, um jedem mitzuteilen, dass man Schnitzel und Soße nur unpaniert genießen kann und dass es ein totaler Frevel ist, irgendwas paniertes auch nur in Sichtweite einer Soße zu positionieren und das lautmalerisch so untermauert, dass man ihn quasi schon bei dem Gedanken durch den Bildschirm sterben sehen kann.

Jagdwurst abziehen

Jagdwurst in Scheiben schneiden

Die Soße hat jetzt 30 Minuten Schmorzeit auf dem Buckel

Mit dem Pürierstab schreddern.

Aufgemerkt, DAS ist die Farbe bei der jeder der kochen kann sieht, dass die Soße noch viel zu hell ist und beim Geschmack noch nicht da angekommen ist, wie sie viel besser schmecken könnte. Wer das nicht weiß, zweifelt es natürlich an, dass man Geschmack sehen kann, aber ich kann auch Dummheit sehen, also wieso sollte ich nicht auch sehen können, ob irgendwas so gut schmeckt, wie man es mit Geschick zubereiten könnte?

Wenn Ihr das Gefühl habt, dass die Soße zu feine Stücke der Schale, oder andere Tomatenbestandteile enthält, dann gebt ein Glas Wasser hinzu. Das binden wir später noch. 200 Milliliter reichen.

Sechs Eier zum Panieren

Aufschlagen

Eier mit der Gabel verquirlen

Ein tiefer Teller Mehl

Paniermehl

Kartoffelmehl, oder Speisestärke zum Binden

Einen Esslöffel in warmem Wasser auflösen.

Soße aufkochen und Speisestärke einrühren. Anschließend auf kleiner Flamme weiter köcheln lassen, dann wird sie immer rot, wie gewünscht.

Jagdwurstscheiben panieren

Jagdwurst ins Mehl drücken

Wenden

Mehlierte Jagdwurst durch das Ei ziehen

Ebenfalls von beiden Seiten. Anschließend ins Paniermehl drücken.

Von beiden Seiten panieren.

Das finde ich jetzt nicht so schwer, als dass man sich die Jägerschnitzel schon fertig paniert kaufen müsste. Ich wohne ja selbst im Osten und es haut mich täglich aus den Schuhen, dass es da diese panierten Wurstscheiben schon vorbereitet unter Flüssigpanierung zu kaufen gibt. Auch das erkennt man im Endprodukt und auch da erkennt man die fertig gekauften meistens an der schlechten Zubereitung.

Ein weiteres Manko der öffentlich präsentierten Jägerschnitzel, ist meistens dieses diffuse Muster zwischen roh und verbrannt auf einem einzigen Jägerschnitzel. Das liegt daran, dass volkseigene ZubereitungskünstlerInnen immer zu wenig Fett in der Pfanne haben und die Jägerschnitzel nicht schwimmend, sondern stumpf auf dem Pfannenboden braten. Deswegen kommt hier daumenhoch Rapsöl in meine 32 cm Pfanne von DiePfanne.com

Heiß werden lassen, volle Pulle, dann auf 50 % reduzieren, wenn die Wurst in die Pfanne kommt.

Schwimmend ausbacken und drei Minuten pro Seite goldbraun ausbacken. Die Menge sind drei Pfannenladungen, deswegen den Backofen auf 80 Grad heizen, damit die Jägerschnitzel warm bleiben, aber nicht weiter garen.

Mit einem Esslöffel das heiße Öl über die Seite löffeln, die gerade nicht im Fett schwimmt.

Nach drei Minuten wenden.

Die Jägerschnitzel sollen genau goldbraun aussehen. Nicht blass und nicht verbrannt, einfach goldbraun.

Was fertig ist kommt, auf ein Backblech und wird im Ofen gelagert.

Wasser zum Kochen bringen

Wasser salzen und dann Spirelli, oder Makkaroni garen.

Die Soße auf einem Teller anrichten. Die ist noch deutlich nachgedunkelt und schmeckt sehr fruchtig und würzig.

Goldbraune Jägerschnitzel

Nudeln

So ist das ein Gedicht. Ich habe extra als Referenz meinen Freund Enrico eingeladen. Mehr Osten geht nicht. Der hat gesagt es wäre toll. Meine Frau (aus Franken) hasst Jägerschnitzel Ost, weil es so ein ordinäres Essen ist. Hier war sie von der Zubereitung begeistert. Meine Kinder sind alle im Osten aufgewachsen und hier mit dem Jägerschnitzel sozialisiert, haben sogar meine Soße gegessen und wollten kein Ketchup. Ich mag das sowieso, aber so knackig ausgebacken und sauber paniert, mit einer echt geilen Tomatensoße, kann man es auch mal jemandem zeigen, der das bislang noch nicht kannte. Das ist doch etwas Anderes, als wenn noch ein paar ewig gestrige sächsische Jammerlappen, nun noch die Schulspeisung wieder auf das Tablett heben, die früher jeder gehasst hat, weil es da nur Mist gab und heute heulen sie dem wie allem Anderen hinterher und tun so, als wenn diese kulinarischen Offenbarungseide der Gemeinschaftsverpflegung Walhalla gewesen wären.

Es ist nicht verbrannt, die Soße besteht nicht aus Ketchup und somit aus purem Zucker. Alles ergibt einen Sinn. Ich kenne das seit meiner Kindheit von meiner Oma. Die konnte ein Filet zu einer Schuhsohle verarbeiten. Daran war nicht sie schuld, sondern der dem es aufgefallen ist. So wie die ganzen Schreihälse die immer noch die Holzkohle in Ketchuppampe verstecken. Man hat bei jedem Ausgangsmaterial auch die Wahl, etwas Gescheites daraus zu machen und vielleicht nur zweimal im Jahr und nicht jede Woche. Willkommen im Hier und Jetzt. Ich wünsche viel Spaß beim Nachkochen und einen guten Appetit.

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8 Kommentare

  • Anne

    Herrlich geschrieben, da lass ich mich ja doch mal dazu hinreissen, das nachzukochen . Bis jetzt hat mir ja immer davor gegraut , egal ob Ost- oder Westfertigpampe, brrr.

  • Vivian

    Ossis haben früher so gut wie ohne “Schrott” gekocht. Schlicht und ergreifen aus Ermangelung desselben. Im Sommer wurde Tomatensauce frisch eingekocht auf Vorrat. Wenn man nicht auf Vorräte zurückgreifen konnte, ging auch mal Werderaner Ketchup.

    • lies dir die heutigen machwerke in den ddr gruppen durch, dann weißt du was ich meine. selbst gemacht und auf den punkt zubereitet ist immer und überall toll.

  • Sascha Wüstemann

    Ich zitiere mal das universell gültige Zitat, das man auf jede Situation angewendet nur wenig oder gar nicht umformulieren muss um es passend zu machen: “Alles ergibt einen Sinn. Ich kenne das seit meiner Kindheit von meiner Oma. Die konnte ein Filet zu einer Schuhsohle verarbeiten. Daran war nicht sie schuld, sondern der dem es aufgefallen ist.”
    Danke für die schöne Formulierung dieser Aussage!

  • Oliver Schnitzler

    Lieber Joerg,

    als ehem. Küchenbulle, aufgewachsen in Schwaben, mit thüringischen Wurzeln (was ne Kombi), habe ich mich mehr als köstlich amüsiert über Deine, wirklich treffliche, Art dieses Rezept zu präsentieren – mit all dem dazugehörigen, täglichen Wahnsinn.

    You mafe my day – Danke dafür!
    Gruß

    Der Oli

    • hallo oliver, vielen lieben dank für den Ritterschlag. so alt bist du ja noch nicht. wo bist du gelandet, wenn du nicht mehr in der küche stehst? Ich mag wirklich alles was ich koche, notfalls auch jägerschnitzel, wenn es mit liebe gemacht ist.

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